Ab sofort ist die Ausstellung zu Ellen Tornquist in der Villa Freischütz zu sehen. Sie bildet den Auftakt unserer Ausstellungsreihe „Augen auf! Die Villa Freischütz und ihre Kunstschaffenden“. Zeit für mich, diesen Blog abzuschließen und ein Fazit zu ziehen. Am Anfang unserer Spurensuche stand die Frage: Wer war die Künstlerin Ellen Tornquist? Meine Antwort: sie war eine deutsche Impressionistin, die das Meraner Kunstleben in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bereicherte und eine Frau, die trotz aller Schwierigkeiten beharrlich ihren Weg ging.
Die Impressionistin
Es ist eine Herausforderung, eine Künstlerin einzuordnen, die noch kein „Label“ hat, über die kein einziger Aufsatz existiert und die auch in zeitgenössischen Ausstellungsrezensionen keiner Kunstrichtung zugeordnet wurde. So müssen ihre Werke für sich selbst sprechen und die Gemälde, Holzschnitte und Pastelle, die sich in unserer Sammlung befinden, zeichnen Ellen Tornquist als Impressionistin aus. Anstatt zu versuchen, das Gesehene möglichst genau abzubilden, ging es ihr darum, die Stimmung des Augenblicks einzufangen, wie z.B. bei ihrem Gemälde „Herbst“, das sie 1907 in Meran ausstellte.
Bei ihrem „Porträt eines Bauernmädchens“ ist die typisch impressionistische Technik, Farbfelder nebeneinander zu setzen, die sich erst mit Abstand betrachtet zum Motiv formen (wobei die Konturen weich bleiben), besonders gut zu erkennen.
Neben ihren Gemälden sind in der Sammlung der Villa Freischütz vor allem Pastelle und Holzschnitte vertreten, beides Techniken, die durch den Impressionismus eine Hochzeit erlebten.
München, wo Ellen Tornquist 1895-1900 studierte, gilt als Wiege des deutschen Impressionismus und auch zwei ihrer Lehrer, Theodor Hummel und Christian Landenberger, gehörten dieser Kunstrichtung an.
Dem Expressionismus stand Ellen Tornquist ablehnend gegenüber, wenn sie auch einigen Künstler*innen zugestand, „in ehrlichem, heissen Bemühen neue Ausdrucksmittel für ihr Empfinden“ zu suchen, wie sie in einem Brief vom 12. Januar 1920 an Luisa Fromm schrieb.
Die „Tirolerin“
Wie beschrieben, lebte Ellen Tornquist aus gesundheitlichen Gründen in Meran. Übrigens hat sie die Stadt bereits 1918 und nicht erst 1926, wie ich hier vermutete, verlassen. Aber von 1905 bis 1918 gestaltete sie das Kunstleben in der Kurstadt aktiv mit. Sie beteiligte sich rege an den Ausstellungen des Kunst- und Gewerbevereins und des 1906 gegründeten „Meraner Künstlerbundes“ und wurde 1911 sogar in dessen Jury- und Hängekommission und Ausstellungsausschuss gewählt. Der akademisch ausgebildete Maler Gustav Adolf Appelbaum beurteilte die Qualität ihrer Arbeiten bewundernd mit dem Ausspruch „Frl. Tornquist schlägt uns alle hier in Meran.“
Sie führte auch in Meran (und wohl auch in Bozen) ihre Unterrichtstätigkeit fort und leitete dort von 1910 bis 1914 eine Malschule, erst in der Villa Pomona und dann in der Villa Placida.
1918 musste Ellen Tornquist Meran aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges schweren Herzens verlassen. Die Zeit dort hat ihr Schaffen aber so stark geprägt, dass sie als „Tiroler Künstlerin“ zu gelten begann. So war sie 1925/26 auf der Ausstellung „Tiroler Künstler der Gegenwart“ vertreten, die äußerst erfolgreich erst durch das Rheinland und Westfalen und dann durch weitere deutsche Städte tourte.
Inwieweit weibliche Kunstschaffende die lebendige Kunstszene Merans in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg mitgestalteten, ist übrigens noch völlig unerforscht. Mindestens ein Fünftel der Mitglieder des „Meraner Künstlerbundes“ waren weiblich. Ihre Namen sind heute vergessen, auch wenn ab und an eines ihrer Kunstwerke auf dem Kunstmarkt auftaucht. Es wäre wünschenswert, dass wir mit Ellen Tornquist den Auftakt zu einer Reihe von Wiederentdeckungen bilden!
Die Beharrliche
Die Beobachtung, die sich bei meiner Auseinandersetzung mit Ellen Tornquists künstlerischem Werdegang am Stärksten in den Vordergrund gedrängt hat, ist ihre Beharrlichkeit. Unbeirrt verfolgte sie ihren Weg. Obwohl Frauen, die als Künstlerinnen arbeiteten, wie hier beschrieben, Ablehnung entgegenschlug, entschied sie sich für ein Kunststudium. Trotz ihrer zwei Jahrzehnte währenden Krankheit (wahrscheinlich litt sie an Lungentuberkulose), die sie zu langen Aufenthalten in Sanatorien und Krankenhäusern zwang, arbeitete sie, wenn immer es ihr möglich war. Als sich ihr Gesundheitszustand gebessert hatte, besuchte sie mit 58 Jahren Kurse an der Académie de la Grande Chaumière in Paris.
Wie bei vielen anderen Künstler*innen ihrer Zeit erschwerten bzw. verhinderten die beiden Weltkriege den Aufbau einer steten Karriere. Doch so viel Kraft es ihr auch abverlangte, unermüdlich suchte sie nach Einnahmequellen und Möglichkeiten, sich künstlerisch zu betätigen. Ohne es beschönigen zu wollen, sind auch die Illustrationen, die sie für das ca. 1935 von Eduard Kriechbaum verfasste Heft „Das Heimatland Adolf Hitlers“ anfertigte, in diesen Kontext einzuordnen ebenso wie ihre Anträge bei der 1936 eingerichteten „Dr. Goebbels-Stiftung ‚Künstlerdank‘“ (Mitglied in der NSDAP war sie nicht, wohl aber in der „Reichskammer der bildenden Künste“), von der sie in den Jahren 1937-1942 finanziell unterstützt wurde.
Bei all den Widrigkeiten bildete die Kunst selbst eine wichtige Kraftquelle für sie, wie in diesem Brief an Zoila Fromm vom 13. Februar 1920 deutlich wird:
Wenn Du aber eine Kunst oder andere Betätigung Dir errungen hast, die Du selbst auf einem Wege weiter führen kannst, der Deinem geweckten Gewissen genügt u. auch die Kritik anderer Menschen mit Verständnis Stand hält, so hast Du einen Schatz fürs Leben errungen, der Dir unendlich viel Glück u. Befriedigung geben wird, mag Dein Geschick sich gestalten wie es will.
Ellen Tornquist, 1920
Die Spurensuche wird uns weiter begleiten. Vor allem hoffen wir, dass wir von weiteren Werken in Museen und Privatsammlungen erfahren werden und sich so der Blick auf das Werk Ellen Tornquists weiten kann. Aber jetzt heißt es ersteinmal in der Villa Freischütz: Vorhang auf für ein fulminantes Comeback!