Im letzten Beitrag schrieb ich, dass Ellen Tornquist vielleicht erst durch ihren Meraner Aufenthalt „auf den Berg gekommen sei“ – und richtig, nun fand ich einen Brief, der das bestätigt. Der Brief befindet sich in der Sammlung der „Villa Freischütz“. Am 29. Mai 1909 schreibt Tornquist an Franz Fromm aus Badenweiler, wo sie sich zur Kur aufhält. Sie erinnert sich an eine gemeinsame Fahrt in die Dolomiten genau vor einem Jahr: „Ja, das war die erste wahrhafte Offenbarung des Hochgebirgs für mich“, schreibt sie, und weiter: „Das war eine der wahrhaft beglückendsten und das Leben bereichernden Eindrücke, derer ich so viele Ihrer Güte und Freundschaft danke.“
Was Ellen Tornquist für eine Bedeutung in die Berge legt, geht aus einem anderen Brief hervor, den sie 13 Jahre später schreibt und der heute im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik-Stiftung Weimar aufbewahrt wird. Der Brief richtet sich an den Schriftsteller Friedrich Lienhard. Er hatte für das 1919 erschienene Buch „Auf Goethes Pfaden in Weimar“ mit Zeichnungen von ihr das Begleitwort beigesteuert.
Tornquist schickt ihm Zeichnungen und (nicht von ihr verfasste) Gedichte und bittet ihn um Hilfe bei der Veröffentlichung. Sie schreibt: „Ich denke mir ein Buch mittleren Umfangs, das etwa den Titel ‚Hochgesänge‘ führen würde und dem Preise Gottes in seinem gewaltigsten irdischen Schöpfungswerk, dem Hochgebirge, gewidmet wäre. Ich möchte, dass etwas von Kraft, Gestaltung und Aufschwung darin liegen würde, bewegende Kräfte, die zur Entfaltung zu bringen unserem Volk jetzt so bitter not tut. Es würde in der Tendenz wohl einem starken Empfinden der Gegenwart entsprechen und vermutlich Anklang finden. Ist doch die Zahl derer, denen die Macht der Gebirgswelt ein höheres Menschentum und göttliches Walten erschliesst, ungeheuer gross.“
Brisant wird der Brief, wenn man weiß, dass der Verlag, den Tornquist Lienhard bittet das Werk anzuempfehlen, der Neuland-Verlag in Eisenach ist. Der Verlag gehörte zum Neulandbund, einer von der Pädagogin Guida Diehl gegründeten rechtskonservativen evangelischen Frauenvereinigung, die als einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. Auch Lienhard vertrat völkisch-nationalistische Auffassungen.
Wie Ellen Tornquist politisch eingestellt war, dafür habe ich bisher noch keine Belege finden können. Das mit Lienhard realisierte Weimar-Buch ist völlig unpolitisch. Sie zeichnet verschiedene Gebäude in Weimar, er beschreibt einen heiteren Spaziergang durch die kleine Stadt. In der oben zitierten Darstellung des Hochgebirges könnte jedoch anklingen, dass Tornquist für Lienhards und Diehls Bestreben, Deutschtum und Christentum miteinander in Verbindung zu bringen, empfänglich war.
Zum jetzigen Forschungsstand schätze ich die Tatsache, dass sie sich ausgerechnet an Lienhard mit der Bitte um Unterstützung wandte, weniger als politisch motiviert denn als den verzweifelten Versuch ein, mit ihrer Kunst irgendwie Geld verdienen zu können. Sie beschreibt in dem Brief, dass sie durch die Auswirkungen des Krieges fünf Jahre lang sehr schwer krank war und nun versucht, mit stark eingeschränkter Arbeitskraft, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und einen neuen Weg zu finden. Dabei stammte sie ursprünglich aus einer wohlhabenden Familie. Davon erzähle ich das nächste Mal.